Ist das Kirche oder kann das weg?

Die Kirchenpresse steht wirtschaftlich unter Druck. Abozahlen gehen zurück, die Umstellung auf digital läuft schleppend. Doch es gibt Wege, um der kirchlichen Publizistik ein neues Image zu geben.

Willi Wild

Willi Wild, Jahrgang 1966, ist seit 2015 Chefredakteur der Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ sowie seit 2017 Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes in Mitteldeutschland. Zuvor war er unter anderem beim MDR tätig. Mehrmals moderierte er die Medienpreisverleihung „Goldener Kompass“ der Christlichen Medieninitiative pro.

Manchmal komme ich mir wie ein Mediendino vor. Erste journalistische Gehversuche habe ich bei der Lokalredaktion der „Fürther Nachrichten“ gemacht. Auch die bayerische Kirchengebietspresse nahm von Zeit zu Zeit meine Texte. Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern zählte da noch knapp 50.000 Abonnenten. Die Christliche Medieninitiative pro, die zu der Zeit noch „KEP“ hieß, lernte ich 1986 kennen. Zusammen mit Wolfgang Baake startete ich eine Unterschriftenaktion mit der Forderung „Mehr christliche Popmusik im Bayerischen Rundfunk“. Ergebnis: 8.000 Unterschriften und eine zehnminütige Sendereihe „Halleluja in Pop“ am Sonntagmorgen. Nach Volontariat und Mauerfall war ich fast 25 Jahre moderierender Redakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk. Nun bin ich mittlerweile auch schon wieder zehn Jahre Chefredakteur der Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“. Mit dem Wechsel vom Rundfunk zur Kirchenzeitung für Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Teile Brandenburgs, bin ich zu meinen journalistischen Wurzeln zurückgekehrt. 

2024 konnten wir mit unserem kleinen engagierten Redaktionsteam und vielen Lesern groß 100 Jahre „Glaube+Heimat“ feiern. Damit ist sie eine der ältesten noch existierenden Kirchenzeitungen in Deutschland. Nach 1945 wurde die Kirchenpresse von den Kirchenleitungen als Korrektiv eingesetzt. Man wollte mit dem Neuanfang auch Fehler der Vergangenheit vermeiden und eine unabhängige journalistische Berichterstattung sowie eine publizistische Kontrolle einrichten. Damit waren die Kirchenzeitungen nicht nur Teil des kirchlichen Verkündigungsdienstes, sondern auch kritische Begleiter der Landeskirchen, die halfen, Versäumnisse und Missstände offenzulegen. Dass das nicht in allen Landeskirchenämtern Gefallen gefunden hat, kann man sich denken. 

Ohne Kirchenpresse fehlt etwas

Gerade in der DDR boten die Kirchenzeitungen eine Plattform für innerkirchliche Debatten und darüber hinaus für politische Diskussionen. Im engen Rahmen der Möglichkeiten war dort zu lesen, was man woanders nicht fand. Das hatte natürlich Folgen und zeigte die Relevanz. Mehr als ein Drittel der Ausgaben der fünf evangelischen Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 150.000 Exemplaren wurden 1988 zensiert oder gar nicht gedruckt, schreibt die Journalistin Bettina Röder im Buch „Evangelische Publizistik – wohin?“ über die Zensur vor der Friedlichen Revolution. Die Abonnements waren begehrt, das Papier allerdings kontingentiert, sodass jedes Exemplar weitergereicht wurde und durch viele Hände ging. 

Resonanz und Abo-Zahlen gingen nach der Wende rasant nach unten. Das lag nicht am Inhalt. Doch das Informationsangebot erweiterte sich schlagartig und dagegen hatten die kirchlichen Traditionstitel keine Chance. Außerdem standen nun andere Dinge im Vordergrund. Man musste rechnen. Den nächsten Einschnitt bekamen Kirchenzeitungen in Ost und West gleichermaßen zu spüren. Mit Internet und kostenlosen digitalen, auch kirchlichen Informationsquellen verlor die Kirchenpresse immer mehr an Boden und Bedeutung. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzog sich ein schleichender Ausverkauf des kirchlichen Journalismus. Nahezu geräuschlos werden kirchliche Wochenzeitungen aus Kostengründen vom Markt genommen. Landeskirchliche Publizistik wird absenderorientiert ausgerichtet und zum Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Das hatte sich der Urvater der evangelischen Publizistik, Robert Geisendörfer, damals anders gedacht, als er die Unabhängigkeit der kirchlichen Publizistik von kirchenamtlichen Weisungen proklamierte. Die Kirchengebietspresse sollte ein loyal-kritisches Gegenüber der Landeskirche mit einer Brückenfunktion zwischen Kirchenleitung und Gemeindebasis sein. Das Zauberwort „digitale Mitgliederkommunikation“ hat in seiner analogen Printversion über einige Jahrzehnte sehr gut funktioniert und den Verlagen zum Teil satte Gewinne beschert. Doch das ist längst Geschichte.

„Wir bringen Menschen zusammen und zeigen weiterhin die Vielfalt kirchlichen Lebens. Ja, die Kirchenzeitung ist auch Teil des Verkündigungsdienstes.“

Ist das Kirche, oder kann das weg? Anders gefragt: Was fehlt, wenn es keine Kirchenzeitung mehr gibt? Die Medienwissenschaftlerin und evangelische Theologin Johanna Haberer sprach 2005 in einem Vortrag in Leipzig von der „regionalen Tiefenwirkung“ als gewichtigstem publizistischen Beitrag der Kirchenzeitungen. „Diese Blätter haben die Kirche dort im Auge, wo sie am vitalsten ist; an der Gemeindebasis. Und sie vermitteln die Anliegen der Gemeindebasis in eine kirchliche Öffentlichkeit hinein. Es liegt von daher im tiefsten Interesse der Kirchenleitungen, dieses Forum für Information, kritische journalistische Begleitung, Chronistenpflicht und Auseinandersetzung, solange es nur irgend geht, zu erhalten.“  

Neues Image als Partner der Ortsgemeinden

Die Kommunikation hat sich im Zuge der Digitalisierung grundlegend verändert. Das bekommen die Kirchenzeitungen drastisch zu spüren. Die Printabos gehen zurück, Neu-Abonnenten fehlen. Der Transfer ins Digitale geht schleppend. Im Wartburg Verlag, in dem „Glaube+Heimat“ erscheint, ist zusammen mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) deshalb eine digitale Strategie entwickelt worden. Im Zentrum der Überlegungen stand der „heimliche Riese“, wie ihn einst Robert Geisendörfer bezeichnet hat: der Gemeindebrief. Die mit Abstand auflagenstärkste kirchliche Publikation birgt ein enormes Kommunikationspotenzial. In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) existieren etwa 6.000 Gemeindebriefe mit einer durchschnittlichen Auflage von 1.250 Exemplaren. In der katholischen Kirche finden sich noch einmal so viele Pfarrbriefe. Insgesamt werden über diese lokalen Gemeindeblätter 15 Millionen Haushalte erreicht. 

Der Evangelische Presseverband in Mitteldeutschland (EPVM) ließ darum prüfen, wie die Redaktion der Kirchenzeitung die Arbeit der meist ehrenamtlichen Gemeindebrief-Redakteure unterstützen kann. Daraus entstand das Portal „Parochia“. Über ein webbasiertes Print-Modul können hier Gemeinde- und Pfarrbriefe wie bei einem Online-Fotobuch erstellt werden. Ortsunabhängig haben mehrere Gemeindebrief-Redakteure gleichzeitig die Möglichkeit, an einem Gemeindebrief zu arbeiten. Das System ist selbsterklärend. Für die Kirchenzeitungs-Redaktion, die ebenfalls in diesem Redaktionssystem arbeitet, ergeben sich praktische Synergien. Zum einen können die Gemeindebrief-Redaktionen Beiträge der Kirchenzeitung nutzen, zum anderen steht der Kirchenzeitungs-Redaktion ein weit verzweigtes Netz an „Lokal“-Redaktionen zur Verfügung. Mittlerweile nutzen annähernd 2.500 Kirchengemeinden aus Landeskirchen und katholischen Bistümern dieses Tool. Das Portal ist bedarfsorientiert angelegt und soll der Erleichterung der ehrenamtlichen Arbeit dienen. Ein großer Erfolgsfaktor ist die Tatsache, dass diese Plattform zusammen mit den Kirchengemeinden und ihren Bedürfnissen entwickelt wurde. Interessant ist zu beobachten, dass die Kirchenzeitung anders wahrgenommen wird, seitdem es das Portal gibt. Ein allmählicher Imagewandel ist auszumachen und zwar vom klassischen Traditionstitel hin zu einem modernen Medium und einem Kommunikationspartner der Ortsgemeinden.

Wir bringen Menschen zusammen und zeigen weiterhin die Vielfalt kirchlichen Lebens. Ja, die Kirchenzeitung ist auch Teil des Verkündigungsdienstes. Im Neuen Testament lesen wir sehr detailliert vom Leben der ersten Gemeinden. Die Paulusbriefe oder die Apostelgeschichte sind voll davon. Kein Bereich des Lebens wird ausgeklammert. Genau genommen schreiben wir diese Teile des Neuen Testaments wöchentlich fort. Jetzt haben sich allerdings die Kommunikationsmittel verändert. Darauf müssen wir reagieren und haben es zum Teil schon getan. |

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