Gewiss gab es aufregendere Texte aus dem Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik (GEP) als jenen, der bei der Suche nach Perspektivreichem meine Aufmerksamkeit weckte. Genau genommen handelt es sich nicht einmal um einen journalistischen Text, beschreibt er doch nur – in juristischer Geradlinigkeit und mit kirchlicher Gravität – den Rahmen, Grund und Zweck der evangelischen Publizistik: die Präambel zur Satzung des GEP. Bei aller Trockenheit muss man dem kleinen Text seine Beharrlichkeit zugutehalten: Er hat es geschafft, über Jahrzehnte, verschiedene Satzungsfassungen und durch den Wandel der Medienlandschaft hinweg in Geltung zu bleiben. Was hat diese alte Präambel nun zu sagen für die kommenden Jahre, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu den ruhigeren zählen werden – weder für die Publizistik noch für die evangelische Kirche und erst recht nicht für die Kombination aus beiden Bereichen?
Gehet hin in die Medien
Zu Beginn beschreibt die Präambel, dass evangelische Publizistik „eine Funktion der Kirche ist“ und „in allen ihren Arbeitszweigen an der Erfüllung des Auftrages teilnimmt, dem die Kirche verpflichtet ist“.
Schon lange ist die evangelische Publizistik nicht mehr nur eine Form von Verkündigung neben anderen kirchlichen Aufgaben, wie Diakonie, Seelsorge, Bildung, soziale Verantwortung oder Ökumene. Vielmehr spielt sie, nicht zuletzt ermöglicht durch ihre zunehmende Formatfülle, in viele kirchliche Arbeitsfelder hinein. Einerseits macht sie diese Bereiche sichtbar, andererseits übernimmt sie selbst auch Aufgaben in ihren Produkten, wie etwa in sozialer Verantwortung, Ökumene oder seelsorglicher Begleitung. Welche Rolle letztere zum Beispiel heute im Community Management spielt und wie sie auch für die Mitgliederkommunikation zu nutzen wäre, braucht deutlich mehr Beachtung. In all diesen publizistischen Aufgaben steckt eine kirchliche Chance: Konsequent verfolgt die Publizistik eine „Geh-Struktur“, indem sie den Menschen in den Briefkasten, immer häufiger auch in die Timeline der sozialen Medien flattert oder indem sie mit evangelischen Sendungen per Radio und Fernsehen im Wohnzimmer landet. Je weniger Menschen bereits jetzt und zunehmend der „Komm doch“-Bitte ihrer Gemeinden folgen, desto relevanter wird es, die medialen Kanäle zu nutzen und sie in diesen Zeiten insbesondere digital auszubauen. Denn klar ist auch: Da sich Mediennutzung zunehmend an der Pull-Logik orientiert, bei der die Nutzerinnen und Nutzer sich nach ihren Wünschen ihr Programm zusammen„ziehen“, braucht es mehr attraktiven, sichtbaren Content. Insbesondere wenn, aber auch weil damit viele und gerade jüngere Menschen über die Mitglieder hinaus erreicht werden sollen. Es ist daher zu hoffen, dass die Synoden bei allem Spardruck das zukunftsträchtige Potenzial dieser „Funktion“ von Kirche honorieren.
Die Präambel fährt fort, dass evangelische Publizistik „das Zeugnis und den Dienst der Kirchen in der Öffentlichkeit geltend macht sowie den Gliedern der Kirchen zum Verständnis wichtiger Vorgänge in der Christenheit verhilft“.
Zu Jahresbeginn entfachten einige Politiker:innen die Diskussion darüber, was dieses „Zeugnis-Geben“ in der Öffentlichkeit bedeute. Darf oder muss Kirche sich einmischen? Gewiss: Die Zeit kirchlicher Deutungshoheitsansprüche ist vorbei. Dennoch bleiben christliche Deutungsperspektiven im Konzert der Weltanschauungen relevant. Sie zu vermitteln, ist nicht zuletzt die Aufgabe evangelischer Publizistik, wenn sie etwa selbst unbequeme Themen setzt oder im Sinne des konstruktiven Journalismus Hoffnung weckt. Das oft bemühte Diktum des GEP-Gründers Robert Geisendörfer, dass evangelische Publizistik „etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen“ könne, hat sich über die Jahre leider nicht erledigt, sondern wird angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Fliehkräfte in Deutschland und der Welt tragischerweise zum immer zentraleren Auftrag.
Ans Evangelium gebunden
Evangelische Publizistik umfasst, „in der Bindung an das Evangelium eigenständige Entscheidungsfreiheit und kirchliche Verpflichtung in gleicher Weise“.
Bei Jubiläen, Fachtagungen, Finanzdebatten oder auch in der wieder zusammengeführten Aufgabe von EKD-Medienbeauftragung und theologischer GEP-Direktion flammt regelmäßig die Frage auf: Wie viel Nähe zur EKD verträgt oder braucht evangelische Publizistik? So sehr die kirchliche Seite ein dienstleistungsorientiertes evangelisches Medienhaus erwartet, so sehr hält eben jenes seine journalistische Freiheit hoch und fürchtet, als Außenstelle der Unternehmenskommunikation missverstanden zu werden.
„Je weniger Menschen der ‚Komm doch‘-Bitte ihrer Gemeinden folgen, desto relevanter wird es, die medialen Kanäle zu nutzen und digital auszubauen.“
Betrachtet man das breite Portfolio der evangelisch-publizistischen Produkte, dann liegt die Wahrheit nicht nur schon, sondern auch künftig umso mehr in vielen Schattierungen dazwischen. Denn so wie Pressedienste größtmögliche Unabhängigkeit brauchen, um gerade auch innerkirchliche Prozesse journalistisch redlich analysieren und darstellen zu können, wäre es umgekehrt merkwürdig, wenn Verkündigungssendungen oder „Sinnfluencer“, die das Evangelium sehr explizit zur Sprache bringen, nicht als medial versierte Sprachrohre evangelischer Kirche verstanden würden. Der steht es daher gut an, auch weiterhin der eigenen Freiheitsbotschaft zu vertrauen und aus ihr heraus die evangelisch-publizistische Freiheit zu ermöglichen. Die viel größeren Herausforderungen für den publizistischen Spielraum liegen heute übrigens wohl eher im steigenden Finanzdruck und den heftigen Umbrüchen in der Medienlandschaft. Wie noch dazu die immer schärferen gesellschaftlichen Debatten die Möglichkeiten der kirchlichen Publizistik im Rahmen öffentlichen und privaten Rundfunks beeinflussen, bleibt abzuwarten und aktiv mitzugestalten. Vielleicht ist es also gerade tröstlich und motivierend, sich unter diesen erschwerten, erdenschweren Bedingungen besonders an die „Bindung an das Evangelium“ erinnern zu lassen, das so sehr in die Verantwortung ruft wie in die Freiheit.
Die Präambel schließt mit der Überzeugung, „dass evangelische Publizistik als Gemeinschaftsaufgabe im Sinne der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland wahrzunehmen ist, bei der die Träger publizistischer Arbeit aus den gliedkirchlichen, regionalen, gesamtkirchlichen, freikirchlichen und ökumenischen Bereichen zusammenarbeiten“.
„Synergie“ dürfte zu den meist genutzten Modeworten der Arbeitswelt gehören. Wenig überraschend war sie in Zeiten sprudelnder Einnahmen und stabiler Kirchenmitgliedschaftszahlen seltener ein Thema. Was früher Doppelstrukturen und wechselseitiges Naserümpfen erlaubte, verlangt heute, adé, ihr fetten Jahre, intensivere oder neue Kooperationen – mit den landeskirchlichen oder freikirchlichen Medienhäusern, in einem deutschlandweit geplanten gemeinsamen Themenmanagement, in der Ökumene und gern auch mit womöglich gar finanzstärkeren anderen Playern. Insofern klingt der alte Präambel-Ruf nach Zusammenarbeit nachgerade „superfresh“. Worauf ist achtzugeben bei allem Schwung hin zu mehr Synergien? Sie dürfen nicht verwechselt werden mit der Entstehung christlich-medialer Monokulturen. Vielmehr muss die Zusammenarbeit helfen, in der Spannung zwischen dem kirchlichen Auftrag und den „User-Bedürfnissen“ das Angebot gerade vielfältig zu halten. Gelingt dies, dann muss so eine Entwicklung auch nicht als „nur aus der Not heraus“ bejammert werden. Denn im besten Fall macht Not ja eben erfinderisch. Und im Erfinder-Geist, darauf vertraue ich, bestehen gute Chancen, den göttlichen auf frischer Tat zu ertappen. |